WIRTIN SONJA RAITH MACHT DEN „BÜCHELSTEINER EINTOPF“ NACH GRATTERSDORFER ART
NAME: Sonja Raith
GEBURTSJAHR: 1957
GEBURTSORT: Deggendorf
WOHNORT: Kerschbaum bei Grattersdorf
LIEBLINGSORT IN NIEDERBAYERN: der Hausberg Büchelstein
GELERNTER BERUF: Hotelfachfrau
MEINE BERUFUNG: über 40 Jahre Wirtin im Familien-Gasthof „Zum Büchelstein“ (seit 2020 geschlossen)
MEIN MENTOR UND LEHRMEISTER: Schwiegermutter Erna Raith
MEINE LEIBSPEISE ALS KIND: Eintöpfe
MEINE AKTUELLE LEIBSPEISE: Schlachtschüssel, warmer Kartoffelsalat
LIEBLINGSGETRÄNK: Bier, am liebsten ein Helles
DA KAUFE ICH EIN / DA GEHE ICH ESSEN:
Essen gehe ich gerne beim Aulinger in Schöfweg (Gasthof „Zum Sonnenwald“). Was das Einkaufen anbelangt: Meine Eier hole ich gerne vom Bauernhof.
DAS DARF IN MEINER KÜCHE NICHT FEHLEN: Salz
MEIN KÜCHENTIPP: Besser eine Stunde früher beginnen! Sich viel Zeit lassen und ohne Stress in der Küche zu hantieren, bringt die besten Ergebnisse
Liebevoll legt Sonja Raith dünn geschnittene Kartoffelscheiben in einen ausgefetteten Kochtopf. Darüber streut sie Salz: „Sonst könnte man es nicht essen – genauso steht es im Original-Rezept.“ Auf den Kartoffeln verteilt sie zwei Handvoll gelbe Rüben. Darauf gibt die Köchin mundgerecht große Fleischstücke von Rind, Kalb und Schwein, ehe sie alles mit einer duftenden Mischung leuchtend grüner Kräuter bedeckt. Und dann geht die Schichtarbeit von vorne los. Wer der Köchin über die Schulter schaut, merkt schnell, dass ihre routinierten Hände ein lange geübtes Werk tun. Als 17-Jährige hat Sonja Raith von ihrer Schwiegermutter gelernt, wie man einen Büchelsteiner Eintopf zubereitet. Viele Jahrzehnte lang kochte die Wirtsfamilie im Gasthof „Zum Büchelstein“ das Traditionsgericht zum Büchelsteiner Fest.
Kerschbaum nahe Grattersdorf (Landkreis Deggendorf) ist ein überschaubarer Ort, in dem man sich kennt. Sonja Raith braucht nicht lange, um die sieben Einwohner aufzuzählen. In Iggensbach aufgewachsen, ist Kerschbaum mittlerweile längst ihre Heimat. Der knapp 800 Meter hohe Hausberg Büchelstein und das danach benannte Wirtshaus haben ihr Leben geprägt. Heute kocht Sonja Raith den Büchelsteiner Eintopf in ihrer Wohnküche. Das Gasthaus, das ihr Mann Peter und sie in dritter Generation führten, ist seit der Corona-Pandemie nicht mehr regulär geöffnet. Lediglich einige Ortsvereine bewirtet Sonja Raith noch. „Ich bin mit 17 Jahren hier hergekommen und habe mein ganzes Berufs- und Familienleben hier verbracht – rückblickend kann man sich das gar nicht mehr so vorstellen“, meint sie nachdenklich.
Büchelstein ein besonderer Ort
Sonja Raith könnte viele Anekdoten und Erlebnisse erzählen. Am Büchelstein hat sie die schönsten Jahre verbracht, aber auch kräftezehrende Arbeit getan und Schicksalsschläge durchlitten, ist vom jungen Mädchen zur lebenserfahrenen Frau geworden. Verantwortlich für all das war die Liebe: „Ich habe meinen fünf Jahre älteren Mann Peter sehr früh kennengelernt. Als ich 17 Jahre war, haben wir bereits geheiratet“, blickt Sonja Raith (Jahrgang 1957) zurück. Für die Eheschließung brauchte sie damals noch einen Vormund.
Für Peter Raith, Sohn der Wirtsleute in Kerschbaum, war der Weg vorgezeichnet: Er sollte den Gasthof von den Eltern übernehmen. Damit war auch die Zukunft für Sonja Raith bestimmt, die nach der Realschule zunächst eine Lehre zur Hotelfachangestellten in Bodenmais begonnen hatte. 1974 im Jahr der Heirat bekamen sie und Peter die erste Tochter, ein zweites Mädchen kam 1980 hinzu, 1990 wurde schließlich noch ein Sohn geboren. Die Frage, welchem Beruf Sonja Raith als Frau des Wirts nachgehen würde, lag auf der Hand: „Es hätte da gar keine Wahl gegeben.“
Heute sagt Sonja Raith, dass der „Herrgott“ ihr diesen Weg so bereitet hat. Und Sonja Raith war und ist gerne Wirtin. Menschen um sich haben, sich austauschen und erfahren, was die anderen bewegt, das erfüllt sie am meisten. „Am schwersten war es immer, wenn die Arbeit so stressig war, dass man kaum Zeit hatte, den Leuten richtig ins Gesicht zu sehen.“ Auch das Familienleben musste oft dem Wirtshaus untergeordnet werden. „Gerade an Wochenenden oder Feiertagen war Hochbetrieb. Die Kinder mussten zwangsläufig oft zurückstehen, was ich sehr bedauere“, sagt Sonja Raith heute. Neben den Entbehrungen standen aber auch viele Erlebnisse, die sie nicht missen möchte: So waren über vier Jahrzehnte jährlich Gruppen eines Erholungsvereins für schwerbehinderte Menschen zu Gast, um am Büchelstein Urlaub zu machen. Die Raiths beherbergten sie nicht nur in Vollpension, sondern gestalteten auch Bunte Abende und Ähnliches mit ihnen. „Da haben wir sehr schöne Begegnungen mit den Menschen erlebt, aber es waren auch kräftezehrende Einsätze für uns.“
Das Rüstzeug für die Arbeit als Wirtin hat Sonja Raith maßgeblich von ihrer Schwiegermutter Erna Raith bekommen, die die 17-Jährige vom ersten Tag an unter ihre Fittiche genommen hatte. Theke, Service, Küche – alle Bereiche erarbeitete sich Sonja Raith im wahrsten Wortsinn. Dabei profitierte sie von der Anleitung und der Erfahrung der Vorgänger-Generation, wofür sie dankbar ist, wenn sie auch zugibt: „Sich als junge Frau in einem Generationenbetrieb einzufinden, ist nicht einfach.“ Immer wieder neu aufeinander zuzugehen sei da vonnöten gewesen.
„Büchelsteiner Eintopf“ von Schwiegermutter gelernt
Gelernt hat Sonja Raith von ihrer Schwiegermutter Erna Raith auch das Eintopf-Gericht „Büchelsteiner“, das jährlich zum Büchelsteiner Fest gekocht wird. Seit den 1830er-Jahren soll es der Überlieferung nach gefeiert werden. Eine ganz besondere Rolle nahm dabei Augusta Winkler (auch Auguste genannt) ein, im 19. Jahrhundert Wirtin in Grattersdorf. Sie reichte als Festspeise einen Eintopf mit verschiedenen Fleischsorten und Gemüse – den „Büchelsteiner Eintopf“. Abwandlungen davon werden außerhalb Grattersdorf gerne „Pichelsteiner“ genannt. Der Entstehungs- und Ortsgeschichte zufolge spricht und schreibt man rund um Grattersdorf aber vom „Büchelsteiner“. Sonja Raith hat sogar eine Schwarz-Weiß-Fotografie von Auguste Winkler und Aufzeichnungen mit verschiedenen Rezeptvarianten. Ein Teil der Herkunftsgeschichte um das Eintopfgericht ist also in Büchelstein zu finden, während der andere Teil der Geschichtsschreibung Regen als Ursprungsort aufweist. Sonja Raith kennt beide Versionen und ist naturgemäß von der Büchelsteiner Variante überzeugt.
Fester Bestandteil des Fests ist die Bergmesse am Stoa („Büchelstein“), die die Waldverein-Sektion Büchelstein ausrichtet und anschließend das Essen des Büchelsteiners, welches die Wirtsfamilie Raith zubereitet. Lange war es eine Gemeinschaftsaufgabe, bei der die Schwiegermutter federführend war. Zu den größten Herausforderungen zählte bei der Zubereitung in den überdimensional riesigen Töpfen, dass der Eintopf weder am Topfboden noch am Rand anbrennt und dass das Abschmecken gelingt: „Bis ich das richtig konnte, musste ich schon einige Jahre üben“, bekundet Sonja Raith.
Da ist es doch leichter, den Eintopf in haushaltsüblicher Menge zu kochen: Mittlerweile hat Sonja Raith mehrere Schichten Kartoffeln, gelbe Rüben, Fleisch und Kräuter im Topf übereinandergelegt. Die Herdplatte ist auf mittlerer Hitze eingestellt. Von Zeit zu Zeit gibt die Köchin Brühe zu, gießt sie vorsichtig mit einem Schöpfer am Rand rund um den Topfinhalt ein. Während der Eintopf köchelt, muss der Deckel auf dem Topf sein. Auf der regulären Speisekarte ihres Gasthauses hatte sie den Eintopf nicht, ab und an gab es ihn aber auf der Tageskarte oder für größere Gästegruppen auf Vorbestellung: „Bichelstoaner ist ein aufwendiges Gericht, weil alleine das Schneiden der Zutaten schon viel Zeit in Anspruch nimmt.“
Auch die Büchelsteiner feiern ihren Eintopf
Früher war das Büchelsteiner Fest eine Attraktion ähnlich einem kleinen Volksfest: „Da gab es sogar Schiffschaukeln“, erinnert sich Sonja Raith. Gefeiert wurde auf einer Wiese direkt am Büchelstein. Dort steht auch das Gipfelkreuz, welches von der Familie Raith mittlerweile zweimal erneuert wurde. Beschwerlich sei es gewesen, die Infrastruktur für den Küchenbetrieb dort oben herzustellen. Mittlerweile ist das Fest ein Gartenfest, das am Fuße des Bergs in etwas kleinerer Form stattfindet. Das erste Fest nach der Corona-Pandemie im Sommer 2023 veranstaltete die Feuerwehr, Sonja Raith reichte den Eintopf. In dieser Form soll das Fest auch fortgeführt werden.
Seit sie den regulären Wirtshausbetrieb eingestellt hat, ist Sonja Raith viel in der Natur unterwegs. Außerdem verbringt sie gerne Zeit mit den drei Enkelkindern und mit ihrem Freund. Schwere und kräftezehrende Schicksalsschläge waren der Tod ihres Mannes im Jahr 2015 und wenige Jahre später der Tod des Sohnes. Seitdem lässt Sonja Raith es ruhiger angehen. Neben der Leidenschaft, als Wirtin für die Menschen da zu sein, hat sie eine neue Leidenschaft entdeckt, die die Erinnerung an Mann Peter wachhält, der ein passionierter Jäger war. Um eigenverantwortlich die Jagd übernehmen zu können, für die ihr Mann zuständig war, machte Sonja Raith eigens den Jagdschein. Die Hege und Pflege der Natur stehen für sie dabei an oberster Stelle. Ob ein Büchelsteiner Eintopf auch mit Wild schmecken könnte? Bislang hat Sonja Raith immer nach klassischem Rezept gekocht: „Vielleicht probiere ich es einfach einmal mit Wild aus. Beim Kochen lernt man schließlich nie aus.“
ICH VERBINDE GENUSS MIT…?
allen meinen Lieblingsspeisen.
MEINER BERUFUNG GEHE ICH NACH, WEIL…
der Herrgott mir diesen Weg bereitet hat.
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN SEHE ICH AKTUELL,…
Hmm – gar nicht so einfach. Ich hoffe, dass die für mich wichtigen Menschen und ich selbst gesund bleiben – aber das ist mehr ein Wunsch als eine Herausforderung.
WENN ICH IN DIE ZUKUNFT BLICKE, DANN…
freue ich mich, wenn meine Familie und ich glücklich und gesund bleiben.
MEIN PERSÖNLICHER TIPP FÜR EINEN NACHHALTIGEN LEBENSMITTELKONSUM LAUTET:
einen Gemüsegarten zu haben.
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