Weil Genuss entscheidend zur Gesundheit beiträgt
GEORG FLINGELLI IST SPRECHER VON SLOW FOOD NIEDERBAYERN UND SETZT SICH FÜR REGIONALE UND NACHHALTIGE KÜCHE EIN
NAME: Georg Flingelli
GEBURTSJAHR: 1956
GEBURTSORT: Passau
WOHNORT: Kelheim
GELERNTER BERUF: Arzt
MEINE BERUFUNG: Psychotherapeut, sowie in der Freizeit bei Slow Food aktiv – für eine nachhaltige Ernährungswende und für gutes, sauberes und faires Essen für Alle.
…ÜBE ICH AUS SEIT: 1988
MEINE AKTUELLE LEIBSPEISE: Nach Wiederentdeckung: Kartoffelgulasch
LIEBLINGSGETRÄNK: Riedenburger Bio-Hefeweizen alkoholfrei bzw. gespritzter Rhabarber- oder Hollersaft in der Saison; handgefilterter, kräftig gerösteter Kaffee
DA KAUFE ICH EIN / DA GEHE ICH ESSEN: Kelheimer Wochenmarkt und hiesige Traditionswirtshäuser
DAS DARF IN MEINER KÜCHE NICHT FEHLEN: Frische regionale Ausgangsprodukte, gscheide Messer, Koch-Wein und passende Musik
Zwei Berufungen hat Georg Flingelli. Als Psychotherapeut half er jahrzehntelang Menschen mit seelischen Leiden. In seiner Freizeit engagiert er sich bei Slow Food Niederbayern für eine nachhaltige Ernährungswende. Was auf den ersten Blick nach zwei unterschiedlichen Themenfeldern aussieht, hat viel miteinander zu tun. Denn Ernährung und Lebensstil haben großen Einfluss auf Körper und Geist. Und: Mit jeder Mahlzeit stimmt man nicht nur über den eigenen Zustand ab, sondern auch über den der Welt.
Wenn es um Leibspeisen und Genuss geht, dann ist Georg Flingelli in Gedanken sofort in der Kindheit. 1956 in Passau geboren, wuchs er in einer sechsköpfigen Familie als Kind von Kaufleuten auf. Noch heute schwärmt er von der Koch- und Backkunst seiner Oma. Inspiriert von Marie Schandris Regensburger Kochbuch wurden altbayerische Gerichte aufgetischt und zwar mit dem, was Jahreszeit und Garten hergaben. Saisonal würde man das heute nennen. Regionales Einkaufen war obendrein selbstverständlich: „Das Gemüse holte meine Oma vom Passauer Wochenmarkt am Domplatz. Ab und an kaufte sie auch einen frisch geschlachteten Karpfen vom Donaufischer. Milchprodukte holte sie gerne aus dem nahegelegenen Österreich.“ Dass es nicht zu allen Zeiten alles gab, sieht Georg Flingelli keineswegs als Einschränkung. Viel mehr scheinen viele Köstlichkeiten dadurch einen besonderen Wert für ihn zu haben. Außerdem ist die Vielfalt saisonal verfügbarer Lebensmittel groß, man muss sie nur kennen.
Begeisterung für alte Rezepte
Noch heute kocht Flingelli die alten Familienrezepte mit Begeisterung nach, etwa das Kartoffelgulasch, das seine Oma oft an Samstagen kredenzte. Freitags gab es meistens Fisch oder eine Mehlspeise. Wie man Grießnockerl, Semmelknödel oder Fleischkrapferl macht, lernte Georg Flingelli als Bub von Mama und Oma. „Dieses Fähigkeiten habe ich später an meine drei Kinder weitergegeben“, erzählt Georg Flingelli. „Es gibt kaum ein Familientreffen, bei dem wir nicht miteinander kochen würden.“ Denn Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme. Zum Genuss wird es erst durch Gemeinschaft, Austausch, Interaktion mit anderen.
Die Überzeugung, dass es sinnstiftend ist, Menschen zu Gesundheit und Wohlbefinden zu verhelfen, hat Georg Flingelli letztlich zur Berufswahl Arzt gebracht. Nach dem Zivildienst im Krankentransport bei den Maltesern stand der Wunsch des Medizinstudiums, das er in Regensburg und Würzburg absolvierte. Mit der Weiterbildung im Fachbereich Psychotherapie fand er schließlich, was ihn erfüllte. Während des Studiums lernte er auch seine spätere Frau Alexandra Hercher-Flingelli kennen und lieben, ebenfalls eine Ärztin. 1998 gründeten die beiden in Kelheim eine gemeinsame Praxis für Psychotherapie. Ende 2023 ging Georg Flingelli in den Ruhestand. Seine Frau arbeitet noch heute in der Praxis. Die beiden haben zwei Söhne (1986 und 1996 geboren) und eine Tochter (Jahrgang 1990).
Bewusst entschleunigen und gesund leben
In all den Jahren hat Georg Flingelli viele sehr unterschiedliche Patientenschicksale erlebt. Jede Geschichte ist anders, doch eines haben alle gemeinsam: „Der Blick auf das Ganzheitliche trägt entscheidend zum Therapieerfolg bei.“ Dazu zählen auch Faktoren wie Ernährung und Stressmanagement. Das gilt übrigens nicht nur beim Patienten: „Auch als Arzt mit einem sehr dicht getakteten Terminkalender und oftmals sehr nahegehenden Patientenschicksalen war es elementar, mich immer wieder abzugrenzen, einen gesunden Lebensstil zu pflegen und bewusst zu entschleunigen.“
Entschleunigung ist das Stichwort für die zweite Berufung von Georg Flingelli. „Es kommt nicht von ungefähr, dass eine Schnecke als Symbol für Slow Food steht.“ Die rote Schnecke, die hat es Georg Flingelli angetan. Dabei war es eher Zufall, dass er überhaupt davon erfuhr. Ende der 80er Jahre besuchte er, einem Regentag geschuldet, mit Freunden eine Apfelmesse im Piemont. Ein Erweckungserlebnis sei es gewesen, dort über 100 verschiedene Apfelsorten betrachten und verkosten zu dürfen. Flingelli fand den ersten Hinweis auf die 1986 in Italien gegründete Slow Food Vereinigung, eine Protestbewegung gegen den Niedergang der vielfältigen Esskultur infolge der Fastfoodlokale. Jahre später – mittlerweile gab es einen deutschen Ableger von Slow Food – fand sich Georg Flingelli auf einer Versammlung der niederbayerischen Aktionsgruppe wieder. Und prompt wurde ihm die stellvertretende Sprecherrolle im sogenannten Convivium Niederbayern angetragen. „Ich kam dazu wie die Jungfrau zum Kind“, erzählt er rückblickend mit einem Lächeln. Mittlerweile steht er gemeinsam mit Franz Anneser als Sprecherteam an der Spitze von Slow Food Niederbayern.
Faire Beziehungen schaffen
Er ist dabei geblieben und engagiert sich mit Gleichgesinnten – weil ihn die Sache einfach überzeugt. „Wichtig war mir immer, dass Slow Food wesentlich mehr als ein Dining-Club ist“, betont Georg Flingelli. Zwar gehören Lokalbesuche – insbesondere bei Testessen für den Slow Food Genussführer, in dem handwerklich arbeitende und regional kompetente Gastronomiebetriebe ausgezeichnet werden – mit dazu, sind aber nicht alles. Slow Food ist längst eine NGO mit vielfältigen Themen rund um Nachhaltigkeit, Arten- und Sortenvielfalt und eine nachhaltige Ernährungswende geworden. „Faire Beziehungen schaffen, die Bio-Diversität, Gesundheit und Klima fördern und es weltweit allen Menschen ermöglichen, in Würde, Freude und Zufriedenheit zu leben“, so umschreibt Georg Flingelli die Vision von Slow Food, die insgesamt nach einem sehr hehren Ziel klingt.
Aber auch jeder kleine Schritt ist entscheidend. Georg Flingelli lebt es mit Begeisterung und aus Überzeugung vor. Er kauft gerne auf dem Kelheimer Wochenmarkt ein und nutzt das reichhaltige Angebot seines Gartens, um immer wieder neue und vor allem die althergebrachten Rezepte zu kochen. Eine gemeinsame Mahlzeit am Tag war festes Familienritual, als die Kinder noch daheim gelebt haben. Heute wird gemeinsam gekocht, wenn sie zu Besuch kommen. Auch vier Enkel gehören zur Familie. Georg Flingelli wird sie ebenso für den Genuss saisonaler und regionaler Kochkunst begeistern, wie seine Oma es bei ihm getan hat. Wichtig ist ihm, ein Bewusstsein zu schaffen: „Freilich darf man auch mal eine Tiefkühlpizza essen. Man muss ja nicht päpstlicher sein als der Papst. Wichtig ist, sich insgesamt im Klaren darüber zu sein, womit man sich selbst und der Welt um einen herum langfristig und dauerhaft einen Gefallen tut.“
Bild: Georg Flingelli
ICH VERBINDE GENUSS MIT…
…einer Radltour am ersten wärmeren Frühlingstag / einem Picknick im Weinberg hoch über dem Isartal / gemeinsamem Kochen und anschließendem Essen mit Freunden.
MEINER BERUFUNG GEHE ICH NACH, WEIL…
…es Freude und Sinn stiftet, für Andere dazusein oder Projekte, von denen ich überzeugt bin, voranzubringen.
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN SEHE ICH AKTUELL…
…- neben den bekannten globalen Fragestellungen – speziell auf die Ernährungswelt bezogen: Die Überwindung des Skandals, dass Abermillionen Menschen an Hunger leiden; eng verknüpft mit der Notwendigkeit einer Veränderung der aktuellen Gegebenheiten – um eine Ernährungsumgebung mit fairen Beziehungen zu schaffen, die Bio-Diversität, Gesundheit und Klima fördert und es weltweit allen Menschen ermöglicht, in Würde, Freude und Zufriedenheit zu leben.
WENN ICH IN DIE ZUKUNFT BLICKE, DANN…
… stimmt mich zuversichtlich, dass viele junge Menschen für nachhaltige, stärker pflanzenbasierte Ernährung im Alltag eintreten und entsprechende Produkte einfordern.
MEIN PERSÖNLICHER TIPP FÜR EINEN NACHHALTIGEN LEBENSMITTELKONSUM LAUTET:
…Wir stimmen mit jeder Mahlzeit (ob mit Messer und Gabel oder ohne) jeden Tag mehrmals, auch ein bisserl über den Zustand der Welt ab: Was wir essen hat nicht nur Folgen für unseren Genuss, sondern auch auf unsere Gesundheit, auf die Landwirtschaft und Kulturlandschaften, Umwelt, Klima, Wirtschaft, Politik. Daher: Möglichst ortsnah erzeugte, ökologisch hergestellte Lebensmittel bevorzugen – beim Bio-Landbau ist eine nachhaltige Produktion, z.B. Förderung des Bodenlebens, Verbot des Einsatzes von Kunstdünger oder von Herbiziden, schon Programm. Einkauf in Hofläden kleinbäuerlicher Landwirtschaft, bei Direktvermarkterinnen oder auf Wochenmärkten fördert nicht nur regionale Wertschöpfung, sondern nebenbei auch den Einblick in die Produktionsweise, die Produzent*innen haben auf einmal ein Gesicht… Möglichst selbst kochen, Verzicht auf stark verarbeitete oder gar ultraprozessierte Nahrungserzeugnisse. Überwiegend pflanzenbasierte Ernährung bevorzugen – wenn tierische Produkte, dann eher „Sonntagsbraten“ statt täglich Wurst und Fleisch, Milch und Käse.
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