SABINE ZELLHUBERS HERZ SCHLÄGT FÜR ALTE REZEPTE IHRER HEIMAT IM ROTTAL
STECKBRIEF
NAME: Sabine Zellhuber
GEBURTSJAHR: 1962
GEBURTSORT: Eggenfelden
WOHNORT: Rogglfing
LIEBLINGSORT IN NIEDERBAYERN: Freilichtmuseum Tittling
GELERNTER BERUF: Hauswirtschafterin und Krankenschwester
MEINE BERUFUNG:
Bei allem, was ich mache, ist es mir am wichtigsten, den sozialen Aspekt im Auge zu behalten.
…ÜBE ICH AUS SEIT:
Es ist mir seit jeher ein großes Anliegen, die Welt besser zu verlassen, als ich sie betreten habe.
MEIN MENTOR UND LEHRMEISTER:
Schwester Richarda von den Englischen Fräulein ist während meiner Ausbildung zur Hauswirtschafterin in einem Simbacher Internat zu einer sehr wichtigen Bezugsperson geworden. Noch heute freue ich mich sehr, wenn wir uns treffen. Auch meine Tante Traudl war wichtig: Sie hat Omas Traditionsrezepte an mich weitergegeben.
MEINE LEIBSPEISE ALS KIND: Semmelschmarrn
MEINE AKTUELLE LEIBSPEISE:
eigentlich alles! Hauptsache, mit guten, möglichst regionalen Produkten und viel Liebe zubereitet.
LIEBLINGSGETRÄNK:
Kaffee, vor allem Latte macchiato. Den gönne ich mir ganz bewusst nicht alle Tage, sondern nur zu besonderen Anlässen auswärts.
DA KAUF ICH EIN/DA GEH ICH ESSEN:
Zum Einkaufen gehe ich gerne auf den Wochenmarkt oder in den Rogglfinger Dorfladen. Ansonsten bin ich eine Gelegenheitskäuferin, je nachdem, wo es gute regionale und saisonale Produkte gibt. Bei tierischen Produkten ist mir das Tierwohl wichtig. Es muss nicht zwangsläufig Bio sein. Und bei allen Einkäufen das oberste Gebot: Müll vermeiden. Weniger und dafür hochwertiger einkaufen. Der beste Müll ist der, der gar nicht erst entsteht. Zum Essen gehe ich gerne im Gasthaus Forstner in Rimbach.
DAS DARF IN MEINER KÜCHE NICHT FEHLEN: mein Holzspatel
MEIN KÜCHENTIPP: Eine gute Hausfrau hat stets eine ordentliche Küche!
„D‘Leibspeis, de koch ma“: So steht es in geschwungenen roten Buchstaben auf den hellgrünen Schürzen in Sabine Zellhubers Kochkursen. Die Leibspeisen, die hier auf den Tisch kommen, sind kulinarische Erinnerungen. Vergessene Eindrücke, die vom Mund direkt ins Herz gehen. Sabine Zellhuber hat sich dem Sammeln und Vermitteln alter Rezepte verschrieben. Nicht nur, weil sie die kulinarische Identität ihrer Heimat erhalten möchte. Es geht um viel mehr.
Das Schlüsselerlebnis verdankt die Rottalerin einer Laune. Mitte der 2010er Jahre suchte eine Arbeitskollegin bei Sabine Zellhuber Zuspruch. Weil irgendwie ein „blöder Tag“ sei. Sabine Zellhuber, damals als Krankenschwester auf einer Palliativstation in Pfarrkirchen tätig, hatte sofort eine Idee für den freien Nachmittag: „Mach‘ ma Kiacherl.“ Die Neugierde der Kollegin war geweckt und während die beiden Frauen Schmalznudel um Schmalznudel zubereiteten, wurde aus dem blöden Tag ein richtig guter.
Zellhuber vermittelt Leidenschaft an alten Rezepten aus der Heimat
Die Geschichte sprach sich herum. „Und dann bekam das irgendwie eine Eigendynamik“, erinnert sich Sabine Zellhuber, die mit ihrem Mann in Rogglfing bei Wurmannsquick lebt. Es gab die einen, die Freude am Essen hatten, und die anderen, die lernen wollten, wie man zubereitet, was sie von früher kannten. Und so machte Sabine Zellhuber, die einst auch eine Hauswirtschaftslehre absolviert hat, aus ihrer Leidenschaft eine Institution. Seitdem sammelt sie nicht nur alte Rezepte ihrer Heimat, sondern vermittelt diese auch in Kursen. Der Fokus liegt auf dem Rottal, doch befasst sich Sabine Zellhuber auch mit niederbayerischen Köstlichkeiten aus anderen Regionen. Rupert Berndl, ehemaliger Kreisheimatpfleger im Bayerwald und Autor mehrerer Kochbücher über Traditionsrezepte, ist ihr Vorbild.
Die Bedingung in Sabine Zellhubers Kochkursen: Dass die Teilnehmer die Rezepte wieder weitergeben. Die kulinarischen Schätze sollen für zukünftige Generationen bewahrt werden. Bei den Speisen von anno dazumal kommt vieles zum Tragen, was heute dem Zeitgeist entspricht – Stichworte regional und saisonal: „Das war früher eine Selbstverständlichkeit, weil man gar nichts anderes hatte“, weiß Zellhuber. Gerade im ländlich geprägten Rottal kam auf den Tisch, was Hof oder Sacherl gerade hergaben. Und obwohl die Zutaten oft einfach waren, wurden daraus sehr variantenreiche Gerichte. Wie man beispielsweise Rottnudeln macht, ein regionaltypisches Schmalzgebäck aus Weizen- und Roggenmehl, zeigt Sabine Zellhuber gern in den Kursen.
Resterl verwerten statt Lebensmittel verschwenden
Oft geht es auch darum, Reste zu verwerten und dadurch ein Wegwerfen von Lebensmitteln zu verhindern. Eng verwandt ist damit ein anderes Herzensthema von Sabine Zellhuber: Müllvermeidung. Insbesondere der Kunststoffmüll und seine Folgen für die Umwelt sind ihr ein Graus. „Angesichts unseres Wissens, was Plastikmüll anrichtet, ist es untragbar, wenn wir ihn weiterhin in derart großen Mengen produzieren.“ Darum kauft sie möglichst keine Produkte, bei denen Verpackungsmüll anfällt. Dazu gehört auch, sich immer wieder zu hinterfragen: Brauche ich das wirklich? Insbesondere Lebensmittel lässt sich Zellhuber gleich in den mitgebrachten Korb oder eine Stofftasche packen. Beobachtet sie andere Einkäufer, kommt es durchaus mal vor, dass Zellhuber höflich das Gespräch sucht: „Braucht’s für den einen Apfel wirklich ein Plastiksackerl?“ Die Sache ist ihr zu wichtig, um zu schweigen: „Die Erde ist eine Leihgabe für uns Menschen und wir sollten alles tun, um sie für unsere Kinder und Kindeskinder so unversehrt wie möglich zurückzulassen.“
Für ihre Familie kocht Sabine Zellhuber, die 1962 in Eggenfelden geboren wurde und in der Ortschaft Martinskirchen aufwuchs, oft nach alten Rezepten. Da kommt dann auch eine ihrer persönlichen Leibspeisen, der Semmelschmarrn, auf den Tisch. Semmeln vom Vortag, Eier, Milch und Butterschmalz – so hat schon ihre Oma das Gericht gemacht. Damit verbindet Sabine Zellhuber etwas, das weit über den Geschmack hinausgeht. „Meine Kindheit war von vielen Herausforderungen geprägt, aber die Liebe meiner Oma war eine große Stütze.“ Ihr größter Halt aber war ihr ein Jahr älterer Bruder Roland, der mit 19 Jahren bei einem tragischen Unfall starb. Für Sabine Zellhuber bis heute der traumatischste Einschnitt in ihrem Leben: „Dieser tiefe Schmerz, dass Roland nicht mehr an meiner Seite ist, hat mich lange, lange begleitet. Auch noch, als ich längst schon eine eigene Familie hatte.“ Seit 1981 ist Sabine Zellhuber mit ihrem Gust verheiratet. Ihre drei Kinder Roland, Veronika und Sebastian sind mittlerweile erwachsen.
Essen weckt Erinnerungen auf jeder Sinnesebene
Nicht nur das eigene Schicksal, auch ihre Arbeit als Palliativ-Krankenschwester hat Sabine Zellhuber gelehrt, wie wichtig gelingende Trauer- und Erinnerungsarbeit für die Lebensqualität ist. Eine Sache, die auch bei den Kochkursen zutage tritt. Etwa wenn einem gestandenen Mann Tränen übers Gesicht laufen – weil die Trebensuppe plötzlich so schmeckt wie einst bei der Mutter. Nicht nur einmal führte Sabine Zellhuber im Nachgang sehr persönliche Gespräche: „Wenn Menschen unerwartet ein Geschmackserlebnis haben, das sie um Jahre zurückkatapultiert, kommen viele Emotionen hoch.“ Überraschung, Freude, aber auch Schmerz. Beim Essen werden Erinnerungen auf jeder Sinnesebene wach.
Die positiven Rückmeldungen und Nachfragen nach weiteren Kursen motivieren Sabine Zellhuber. Oft hat sie so viele Ideen, dass sie kaum weiß, wohin damit. Seit einer Corona-Erkrankung muss sie jedoch aufgrund starker Long-Covid-Beschwerden mit ihrer Energie haushalten. Ihren Beruf als Krankenschwester musste sie schweren Herzens aufgeben. Kochkurse kann sie nicht mehr so viele abhalten, wie sie es gerne täte. Das zu akzeptieren, fällt Sabine Zellhuber nicht leicht. Ist sie doch eine sehr umtriebige Frau. War früher kein Berggipfel vor ihr sicher, so teilt sie sich heute ihre Kraft ein. Vor allem für die Enkelkinder will sie da sein – und natürlich für die Leidenschaft zur Kulinarik.
Dazu gehört auch, dass sie immer wieder neue, alte Rezepte sammelt. Viele werden ihr zugetragen, andere recherchiert sie selbst, indem sie erfahrene Kochbegeisterte der Region aufsucht. Den von der älteren Generation oft leichthin gegebenen Tipp „Des gspürst dann scho“ ersetzt Sabine Zellhuber durch konkrete Mengenangaben und Anweisungen: „Ich selbst koche zwar auch überwiegend nach Erfahrung und Gefühl, für meine Kursteilnehmer habe ich aber alles exakt abgewogen und aufgeschrieben, damit auch nichts schiefgehen kann.“ Eines Tages ein Buch aus den alten Rottaler Rezepten schreiben – das wäre Sabine Zellhubers Traum. Und mit Sicherheit würden in dem Buch dann auch einige persönliche Geschichten zu lesen sein über die Menschen, von denen sie die Rezepte hat: „Denn die Erinnerung ist das höchste Gut.“
Quelle: Monika Bormeth, freie Journalistin, im Auftrag der Genussregion Niederbayern, 2024
ICH VERBINDE GENUSS MIT…
Erinnerung, Gemütlichkeit und gemeinsamem Essen mit anderen Menschen.
MEINER BERUFUNG GEHE ICH NACH, WEIL…
… ich die Menschen so gerne mag! Und weil mir das kulinarische Brauchtum am Herzen liegt.
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN SEHE ICH AKTUELL,…
…darin, dass durch das weltweite Überangebot den exotischen Lebensmitteln ein höherer Wert als den heimischen zugemessen wird. Leider wird auch nach wie vor zu viel weggeworfen, statt Resteverwertung herrscht Verschwendung vor. Da brauchen wir einen Bewusstseinswandel, auch generell beim Thema Müllvermeidung.
WENN ICH IN DIE ZUKUNFT BLICKE, DANN…
Die Nachhaltigkeit der Gefühle mit dem Essen verbinden. Regional und saisonal einkaufen – auf bayerisches Super Food setzen. Lieber weniger und gut, anstatt viel und minderwertig. Wildkräuter und Wildbeeren wieder zu den Essgewohnheiten machen. Und kulinarische Traditionen bewahren. Denn was uns im Herzen berührt, soll nicht verloren gehen.
MEIN PERSÖNLICHER TIPP FÜR EINEN NACHHALTIGEN LEBENSMITTELKONSUM LAUTET:
Wir können auch in unserer Heimat gutes Essen herstellen und beziehen. Wir sollten mehr auf Transporte von Exportware verzichten und wieder mehr in unserer Umgebung anbauen und einkaufen. So kann man gleichzeitig auch CO2 einsparen. Außerdem weniger Lebensmittel verschwenden und wegwerfen und wieder mehr versuchen, die Produkte zu verwerten.
SABINES REZEPTIDEEN