Genuss ist mehr als Kulinarik

Marita Haller begeistert für regionale Heimatgeschichte und Tourismus

STECKBRIEF

NAME: Marita Haller

 

GEBURTSJAHR: 1951

 

GEBURTSORT: Regenhütte

 

WOHNORT: Zwiesel

 

LIEBLINGSORT IN NIEDERBAYERN: es gibt viele sehr schöne Orte, die ich gerne aufsuche

 

GELERNTER BERUF: Kauffrau

 

MEINE BERUFUNG: Heimatgeschichte für unsere Kinder bewahren

 

…ÜBE ICH AUS SEIT: 1988

 

MEIN MENTOR UND LEHRMEISTER: ich selbst

 

MEINE LEIBSPEIS ALS KIND: Schweinebraten mit Reiberknödel

 

MEINE AKTUELLE LEIBSPEIS: krustiger Schweinebraten mit Reiberknödel

 

LIEBLINGSGETRÄNK: Apfelschorle oder Mineralwasser

 

DAS DARF IN MEINER KÜCHE NICHT FEHLEN: frisches Obst, Gemüse und Kräuter aus eigenem Garten, Kartoffeln, Bauernbrot

Marita Haller steht vor der Skulptur des Heiligen Nepomuk im Zentrum der Glasstadt Zwiesel. Ein Fototermin. Spontan reißt die 73-Jährige die Arme in die Höhe, strahlt in die Kamera und ruft: „Ich liebe Zwiesel!“ Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig applaudiert ein Bekannter. Man kennt Marita Haller. Als Lokalreporterin der Zeitung, als Buchautorin, als Stadtführerin, als Kennerin von Heimatgeschichte und Tourismus – als Botschafterin der Region.

 

Für den Termin mit der Genussregion Niederbayern hat Marita Haller einen besonderen Schauplatz gewählt: Die erste Dampfbierbrauerei Zwiesel ist die letzte verbliebene von einst 12 Brauereien in der Glasstadt. Ihren Namen verdankt sie dem obergärigen Bier, das Wolfgang Pfeffer nach der Gründung im Jahr 1889 aus dem raren Rohstoff Hopfen und in Ermangelung an Weizen mit Gerstenmalz braute. Die Kohlensäureentwicklung infolge der obergärigen Hefe erweckte den Eindruck, das Bier dampft. Neben 18 anderen Sorten wird das Dampfbier nach dem alten Traditionsrezept heute noch gebraut.

 

Passion für Heimatgeschichte

Fröhlich begrüßt Marita Haller den Braumeister Andreas Keller, der sogleich den einstigen Eiskeller vorführt. Hierher schaffte man früher, noch ehe es den Luxus moderner Kühlanlagen gab, aus nahegelegenen Weihern Eisblöcke. Marita Haller erzählt mit Faszination über das ausgeklügelte Kühlsystem und die noch heute existenten Felsenkeller, in denen das Bier heranreifte.

 

„Mich begeistert und interessiert im Grunde alles“, bekundet Marita Haller. Regionale Heimatgeschichte und Tourismus, das hat sie nicht nur beruflich zu ihrer Passion gemacht. Zu jedem Geburtstags- und Weihnachtsfest wünscht sie sich historische Bücher mit ihr noch unbekannten Geschichten. „Es gibt immer etwas, was ich weiter recherchieren möchte.“ Genuss – ja, das ist auch so ein Thema. Marita Haller denkt dabei nicht nur ans Essen: „Genuss hat nicht nur mit Kulinarik zu tun, Genuss spielt sich auf allen Sinnen ab.“ Ein gelungenes Konzert, der Anblick mundgeblasenen Bayerwald-Glases, Natureindrücke beim Wandern … Marita Haller könnte die Liste noch lange fortsetzen.

 

Besuch in der Zwieseler Dampfbierbrauerei

Zurück zur Dampfbierbrauerei. Ein kleiner Schmiedeofen wird mit Gas angeheizt. Bläuliche Flammen lodern auf, die Enden mehrerer Eisenstäbe, genannt Bierstachel, ruhen darin. Braumeister Andreas Keller schenkt Bier in Gläser. Dann zieht er am Holzgriff einen der Eisenstäbe aus dem Schmiedeofen und taucht die gelb glimmende Spitze in eines der Biere. Es zischt. Auf dem Bier bildet sich cremiger Schaum. „Durch die Wärme des Eisens kristallisiert der Restzucker im Bier“, erklärt Keller. „Neben dem warmen Schaum bleibt der Rest des Bieres kalt.“ Das ist Geschmacksverfeinerung und Showeffekt gleichermaßen, abgeschaut von Schmiedemeistern anno dazumal. „Die haben anstatt eines Bierstachels einfach ihren glühenden Schürhaken ins Getränk getaucht.“ Wieder etwas Neues dazu gelernt. Marita Haller prostet Andreas Keller zu und kostet von dem bernsteinfarbenen Bier: „Köstlich!“

 

Weiter geht es in die urige Schalander-Gaststätte, der sich ein Brauereimuseum anschließt. Marita Haller hat im Schalander schon einen Vortrag zum Thema Bier gehalten. Ach ja, und ihr Lieblingsbier ist der „Stanzen-Grump“. Ein untergäriges, dunkles Bier, das seinen Namen „dem Krüppel von der Stanzn“, einem Vorfahren des Brauerei-Gründers, verdankt: Franz Pfeffer kam der Legende nach wegen seiner Freundschaft mit dem Räuber Heigl, dem Bayerwald-Robin Hood, ins Gefängnis. Sein Fuß wurde in eine Fußfessel mit Eisenkugel gesperrt, was Pfeffer zum Krüppel („Grump“) machte. Er wohnte ehedem im Pfefferschen Bauernhof – der „Stanzn“, am Fuße des Kaitersbergs …

 

Wie Glas Marita Hallers Leben prägt

Marita Hallers persönliche Geschichte beginnt 1951 in der Steigerwald Villa, einem Anbau an die Glashütte Regenhütte. Dort wurde sie, deren Mutter Ende des zweiten Weltkriegs vor den Russen aus Wien in den Bayerischen Wald floh, geboren. Als sie eineinhalb Jahre alt war, zog die Familie nach Zwiesel, der Vater fand Arbeit in der „Tascher-Hütte“. Glas sollte fortan auch das Leben von Marita Haller prägen. In der kleinen, elterlichen Wohnung mit Geschwistern aufgewachsen, erwachte schnell ein starker Freiheitsdrang in ihr. „Sternzeichen Schütze“, wirft sie mit vielsagendem Schmunzeln ein.

 

Sprachbegabt und wissbegierig, fand Marita Haller mit 17 Jahren bei den Vereinigten Farbenglaswerken in der Abteilung Großverbraucher noch vor Abschluss des Gymnasiums ihre erste Anstellung. Der Wunsch auf eigenen Beinen zu stehen, hatte Priorität. Dass sie neben Englisch auch Französisch sprach, war ihr Kapital. Nach dem Wechsel in die Exportabteilung der Kristallglasfabrik in Spiegelau reiste Marita Haller bereits mit 19 Jahren auf internationale Messen, bis nach Übersee. Sie erwies sich als Verkaufstalent. Auch nach einem Wechsel in den Vertrieb der Firmengruppe Forma und Kutscher in Zwiesel, zu der auch Inn Crystal in Braunau/Österreich gehörte. Vertragsverhandlungen in Englisch mit Funktionären im ehemaligen Ostblock? Ein hart verdientes Brot, doch Marita Haller schaffte auch diese Herausforderung. Als die alte Firma in Spiegelau eine Exportleitung suchte, bewarb sie sich zurück. „Ich bekam Handlungsvollmacht und ein Kollege und ich teilten uns fortan die Welt.“ Haller betreute u.a. Vertreter in Amerika, sie weilte in New York und Chicago und arbeitete in der Tochterfirma Spiegelau Incorporated, erlebte einen Blizzard mit Schneechaos und ein Attentat im Hilton Hotel.

 

Von der Weltreisenden zur Heimatliebhaberin

Wie aus der Weltenbummlerin die Frau wurde, die für ihre Verbundenheit zu Zwiesel bekannt ist? Da kommt die Familie ins Spiel. Bereits früh hatte Marita Haller ihren Mann Günther geheiratet. Der Lehrer für Mathematik und Physik stammte aus ähnlichen Verhältnissen wie sie, beide hatten sich im Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben gefunden. „1988 kam unsere Tochter Petra zur Welt, 1990 Tochter Marita.“ Die beruflichen Reisen stellte Marita Haller wegen ihrer Kinder ein, daheim nur stillsitzen konnte und wollte sie nicht. Sie suchte nach einer Aufgabe, die sie mit der Erziehung der Kinder vereinbaren konnte und begann als Aushilfskraft in der Touristinformation Zwiesel. Und weil es damals kaum touristische Prospekte für die Gäste gab, schrieb Marita Haller einfach selbst Wanderrouten und Interessantes rund um die Region auf. Rückblickend sagt sie: „Meinen Beruf und sonstige Tätigkeiten habe ich immer als Hobby gesehen. Egal, was ich getan habe, ich war immer neugierig auf alles – war mit Leidenschaft dabei. Und das gilt auch heute noch.“

 

Ihr Gespür fürs Schreiben sprach sich herum. Glasmentor Willi Steger, Technischer Leiter in der Glashütte Riedlhütte, arbeitete mit Manfred Rimpler an einem Buch über Anton Pech aus Nordböhmen, den ersten Lehrer für Glasgravur an der Glasfachschule Zwiesel: „Und du schreibst mit!“, bestimmte er. Das war der Anfang. Es folgte das Lexikon „Böhmerwald grenzenlos“, in dem Marita Haller auf Anfrage des Stary most Verlags in Pilsen die deutsche Seite des Böhmerwalds beschrieb. Auf Hallers Bitte hin erschien das Buch neben Tschechisch auch in deutscher Sprache. Ein weiterer Erfolg. Viele gemeinsame Bücher mit dem tschechischen Verlag folgten, ferner welche für den Ohetaler Verlag und den Verlag Edition Lichtland. Für den Verein „Über d’Grenz“ verfasste sie mit Autorenkollegen zwei erfolgreiche Bücher über Schmuggler an der bayerisch-böhmischen Grenze. Mittlerweile ist Marita Haller an rund 30 Büchern beteiligt oder hat sie als alleinige Autorin geschrieben. Außerdem gestaltet sie grenzüberschreitende Jahreskalender zu historischem Handwerk, Brauchtum und Geschichte.

 

Als Stadtführerin begeistern sie mystische Geschichten

Fasziniert ist sie von mystischen Themen. In ihrem Buch „Die Schattenfrau“, erschienen im edition Lichtland Verlag, hat sie übersinnliche, nicht erklärbare Erlebnisse und Erfahrungen festgehalten. Eigene und die anderer Menschen. „Meine Botschaft: Es gibt ein Leben nach dem Tod.“ Die Nachtführung „Schattenfrau“ in Verkleidung des Sehers Alois Irlmeier war über Jahre eine ihrer beliebtesten Gästeführungen. Gerne hält sie auch Vorträge im Auftrag der VHS zu Themen wie „unbekannte Ausflugsziele“, „besondere Naturdenkmäler“, „vergessene Bodendenkmäler“ und Brauchtum einschließlich kulinarischer Spezialitäten (31.10.2025 im Waldmuseum Zwiesel). Mit Kuratorin Zuzana Jonova und dem Verein „über d’Grenz“ um Vorsitzenden Ivan Falta ist eine Wanderausstellung mit Begleitbroschüre in Vorbereitung: alte (verschwindende) Winterbräuche und Traditionen im Bayerischen Wald und Böhmerwald.

 

Noch heute ist Marita Haller als Stadtführerin jeden Montagvormittag im Auftrag der Glasstadt Zwiesel mit Gästen und Einheimischen unterwegs. Sie führt Interessierte zum Zusammenfluss von Großem und Kleinem Regen, die „zwi sale“, die der Stadt ihren Namen gaben, zur Glaskapelle und zur Glaspyramide, zur Glasfachschule und in die Glashütte Zwiesel Kristallglas AG. Viele Jahre stieg sie mit Gästen hinab zu den unterirdischen, einstigen Fluchtgängen. Reste davon ziehen sich noch heute durch das gesamte Stadtzentrum und werden aktuell täglich von Kollegen gezeigt. Der Heilige Nepomuk, an dem sie auch Station macht, gehört übrigens zum Zwieseler Skulpturenweg, der sich vom Weißwurstäquator Zwiesel Süd bis zur Bergkirche hinzieht und etwa 70 Skulpturen einheimischer Künstler vorstellt. Das Nepomuk-Denkmal mit Chronogramm ist eine Stiftung des Hopfenlieferanten Wolfgang Luckner aus dem Jahr 1767. Womit sich der Kreis zum Bier schließt.

 

Quelle: Monika Bormeth, freie Journalistin aus Landau, im Auftrag der Genussregion Niederbayern

Fotos: Sepp Eder

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MEINE BERUFUNG ÜBE ICH AUS, WEIL…?

sie mir Spaß macht.

 

WENN ICH IN DIE ZUKUNFT BLICKE, DANN…

freue ich mich auf jeden neuen Tag, den ich unbelastet erlebe

 

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