Manchmal ist man lange auf der Suche und dann gibt einem das Leben ganz plötzlich, wofür man geschaffen ist. Bei Carola Böhm war es die Nachricht einer Geschäftsschließung, die ihr zu ihrer Berufung und Passau zu einem ganz besonderen Laden verhalf: „Tante Emmer – unverpackt & bio“. Biologisch erzeugte und hochwertige Lebensmittel, bestenfalls aus der Region und ohne Verpackungsmüll einkaufen, an einem Ort, der zugleich Begegnungsstätte ist – um diese Vision Wirklichkeit sein zu lassen, ist Carola Böhm keine Herausforderung zu groß. Überzeugt, das Richtige zu tun, hat sie seit der Eröffnung 2017 schon so manchem Sturm getrotzt.

Inhabergeführte, kleinere Geschäfte rund um die Passauer Fußgängerzone sind mittlerweile rar. Der knapp 60 Quadratmeter große Laden von Carola Böhm in der Grabengasse zählt zu den noch erhaltenen. Dass man dort aus einer Vielzahl von Lebensmittelspendern seine Haferflocken, Espressobohnen, Nudeln und vieles mehr in mitgebrachte Gefäße abfüllt, ist nicht die einzige Besonderheit. Bei „Tante Emmer“ wird „gemeinschaftsbasiert gewirtschaftet“. Ein weitum einzigartiges Konzept, einst aus der Not geboren, heute aus Überzeugung praktiziert. 

Im Gespräch mit Carola Böhm, Jahrgang 1979, vernimmt man sofort ihre ansteckende Energie: Sie brennt für das, was sie macht. Ohne zuvor selbst ein Geschäft betrieben zu haben, stürzte sie sich 2017 mit „Tante Emmer“ in ein Abenteuer – voller Überzeugung, nun das Richtige gefunden zu haben: „Mein Leben ist nie ganz geradlinig verlaufen“, blickt die gebürtige Augsburgerin zurück. 2006 führte eine Verbindung von Zufällen sie in die Dreiflüssestadt, wo Carola Böhm seitdem glücklich ist. Stets war sie auf der Suche, beruflich das zu finden, was ihr und ihren Überzeugungen ganz gerecht wird. Nach dem Abitur machte sie ein Freiwilliges Ökologisches Jahr in einer Jugendbildungsstätte im Allgäu, begann danach eine Gärtnerlehre, dann ein Biologiestudium.  Beides Wege, die sie nicht zu Ende gehen wollte. Nach ihrem Umzug nach Passau arbeitete sie in der Gastronomie und auf dem Wochenmarkt an einem Biogemüsestand. Eine Ausbildung zur Heilpraktikerin schloss sich an.

Unverpacktladen statt Gemeinschaftspraxis

Carola Böhm wagte erste Schritte in der Selbstständigkeit, plante mit Berufskollegen eine Gemeinschaftspraxis – und dann kam alles anders. „Damals gab es in der Theresienstraße einen Unverpackt-Laden. 2016 stellte sich heraus, dass die Betreiberin nach recht kurzer Zeit ihren Laden wieder schließen möchte“, blickt Carola Böhm zurück. Sie erinnert sich noch genau daran, wie im Gespräch mit Freunden die Ideen aus ihr heraussprudelten, wie man so einen Laden betreiben müsste: „Und plötzlich hat mich jemand angesehen und gesagt: Warum machst du das eigentlich nicht, Carola?“

Ja, wieso eigentlich nicht – ein Jahr lang holte Carola Böhm Informationen zur Thematik „unverpackt einkaufen“ ein und überlegte, wo man so einen Laden am besten ansiedelt. Ein weiterer Zufall: In der Grabengasse war ein kleiner Laden von gut 35 Quadratmetern zu vermieten. Carola Böhm ergatterte den Zuschlag und eröffnete 2017 „Tante Emmer – unverpackt & bio“.

Das Konzept stellte sich als die Mischung heraus, die sie immer gesucht hat: „Ich bin selbstständig tätig und das in einem Bereich, der meine Grundeinstellung widerspiegelt. Mir ist es schon immer sehr wichtig, mich gesund und mit hochwertigen Lebensmitteln zu ernähren. Und es hat mich seit jeher schockiert, welche Unmengen an Verpackungsmüll bei einem Einkauf anfallen“, sagt Carola Böhm. Großen Wert legt sie darauf, dass alle Lebensmittel, die es bei „Tante Emmer“ gibt, biologisch erzeugt werden und möglichst aus der Region stammen. Ausnahmen macht sie ab und an bei der Auswahl in der Obst- und Gemüsetheke:  „Die Bananen könnte man sonst im Winter nicht anbieten.“ Aber auch wenn sie beim Großhändler einkauft, legt sie Wert darauf, sich genauestens über die Herkunft zu informieren und auf gute Produktionsbedingungen zu achten.

Immer eine kreative Idee parat

Das Geschäft lief – auch während der Corona-Hochphase – so gut, dass Carola Böhm 2022 beschloss, es zu vergrößern. Es ergab sich, dass sie das größere, nebenstehende Ladenlokal anmieten konnte. Die einstigen Räume dienen seitdem als Lager. Die Freude über die Vergrößerung währte allerdings nur kurz. „Der Zeitpunkt fiel ausgerechnet mit dem Beginn des Ukrainekriegs zusammen. In der Folgezeit hat sich nicht nur die beginnende Inflation bemerkbar gemacht, sondern auch die Tatsache, dass die Menschen anderes mehr beschäftigt als der nachhaltige Lebensmitteleinkauf“, resümiert Carola Böhm. Der erwünschte Aufschwung blieb aus, das Geschäft stagnierte. Doch Carola Böhm wäre nicht Carola Böhm, wäre ihr keine kreative Lösung in den Sinn gekommen. Im Juli 2022 organisierte sie eine Spendenaktion. „Tante Emmer“ bekam wieder Aufschwung. Gut ein Jahr später stieß sie auf eine neue Möglichkeit: Seit September 2023 wird „gemeinschaftsbasiert“ gewirtschaftet.

Das bedeutet, dass Kunden gemeinschaftlich Verantwortung tragen und einen Teil der Betriebskosten von „Tante Emmer“ finanzieren. Die „Tanten-Verwandten“ erwerben monatlich einen Einkaufsgutschein in festgelegter Höhe und kaufen dafür im Geschäft ein. Die Gutscheinbeiträge können mit einem „Solidaritätsbeitrag“ nach eigener Wahl aufgerundet werden. „Dadurch ist ein guter Teil unserer Fixkosten gedeckt, was uns Planungssicherheit gibt und eine große Erleichterung ist“, so Carola Böhm. Damit einher geht auch eine Solidarität innerhalb der Gemeinschaft: „Jeder bezahlt den Betrag, der der eigenen Lebenssituation entspricht. Dadurch können alle Menschen hier einkaufen.“ Um kostendeckend wirtschaften zu können, müsste das Geschäft eigentlich die Preise stark anheben, denn das Unverpackt-Sortiment birgt einen sehr hohen Zeit- und Arbeitsaufwand. Durch die „Solidaritätsbeiträge“ jedoch können die Preise auf einem Niveau gehalten werden, das in etwa der üblichen Preisgestaltung eines Bioladens entspricht. Auf das Konzept ist Carola Böhm mit Hilfe des Unverpackt-Verbands und Myzelium, einem Netzwerk für gemeinschaftsbasiertes Wirtschaften, gekommen: „Es passt zu unserer Philosophie.“

Zu ihrer Philosophie gehört auch, dass Carola Böhm und ihre fünf Mitarbeitenden einen guten Draht zur Kundschaft haben. Der Cappuccino wird schon mal mit einem Ratsch serviert. „Das Geschäft ist eine Begegnungsstätte. Jede und jeder ist willkommen.“ Für Carola Böhm ist „Tante Emmer“ ein Baustein zu einem für alle Menschen lebenswerten Einkaufen und Wirtschaften: „Ein Baustein für die Welt, wie sie in Zukunft im guten Fall aussehen könnte.“ Aus dieser Überzeugung heraus wird Carola Böhm auch weiterhin allen Stürmen trotzen.

Quelle: Monika Bormeth, freie Journalistin im Auftrag der Genussregion Niederbayern